Interview mit Dr. Klaus Illgner-Fehns auf der Multi-Screen TV 2012 zu HbbTV® und Smart-TV


Herr Dr. Illgner-Fehns, vielen Dank für dieses Interview. Beginnen wir mit einer Grundlegenden Frage: Ist HbbTV® das Gleiche wie Smart TV?

HbbTV® steht für eine europaweit standardisierte Technologie, um sowohl Internetinhalte mit definierten Leistungsmerkmalen einheitlich auf TV-Geräten darzustellen als diese auch mit dem linearen Rundfunksignal zu kombinieren. Smart TV dagegen ist ein Marketingbegriff, um verschiedene Funktionen zur Internet-bezogenen und individuellen Nutzung vorrangig medialer Inhalte neuer Fernsehgeräte zusammenzufassen. Smart TV ermöglichen neben linearem Fernsehen und der Anbindung ans Internet, mit HbbTV® als wesentlichem Bestandteil, auch die Wiedergabe von gespeicherten Multimediadaten, die drahtlose Vernetzung von Geräten in der Heimumgebung sowie intelligente Fernbedienungskonzepte mit Smartphone und Tablet-PC. Die Antwort auf Ihre Frage ist also nein.

Welche Rolle spielt HbbTV momentan in Europa und speziell in Deutschland?

Deutschland spielt bei HbbTV sicherlich eine Vorreiterrolle. Seit der IFA 2010 bieten alle vier großen FreeTV-Anbietergruppen ARD, ZDF, RTL und Pro7/Sat1 HbbTV-Dienste an. Aber auch bei kleineren Programmveranstaltern, wie Sport1, HSE24, Dr.DishTV,  BibelTV oder AstroTV, wird HbbTV als eine wertvolle Ergänzungsmöglichkeit der programmlichen Aktivitäten gesehen. Seit Herbst 2011 haben praktisch alle großen Hersteller Geräte mit HbbTV im deutschen Markt. Diese sind sowohl als Set-Top-Boxen wie auch als IDTVs verfügbar. Erste Hersteller bieten bereits nur noch Geräte mit HbbTV an.

Auch auf europäischer Ebene wächst die Nutzung von HbbTV deutlich. Der französische Markt hatte bereits bei der Entwicklung des HbbTV-Standards eine wichtige Rolle gespielt. Jetzt findet dort unter der Koordination des französischen HD-Forums eine breite Markteinführung statt. Auch in Spanien wurden  in 2011 HbbTV-Angebote gestartet, in den Niederlanden ist der Start für 2012 angekündigt. In der Schweiz und Österreich finden Testbetriebe statt. Großes Interesse herrscht außerdem in Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Tschechien, der Slowakei und auch außerhalb Europas in Brasilien, Japan, Australien und den USA. Auch in China wurde bereits ein erstes HbbTV-Pilotprojekt durchgeführt.

Welche Möglichkeiten bietet HbbTV? Welche werden schon genutzt, und welche sind bisher noch ungenutzt?

Auf eine große Akzeptanz stoßen derzeit Dienste, wie elektronische Programmführer (EPG), der optisch verbesserte Teletext und allen voran der zeitunabhängige Zugriff auf die Mediatheken der Sender. Einige Privatsender bieten auch Mitmachangebote in Form von Zuschauer-Voting bei Casting-Shows an. Auch Shopping-Kanäle nutzen HbbTV (Anmerkung der Redaktion: z.B. QVC oder HSE). In Betrieb sind bereits auch Applikationen, mit denen Transaktionen wie Buchungen oder Einkäufe durchgeführt werden können. Das Potential ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Gerade im Bereich der Werbung, aber auch mit der Integration von Social Communities lassen sich ganz neue Formate realisieren.

Ausschnitt des HBBTV-Auftritts der ARD


Welche Hersteller bieten Geräte mit HbbTV an?

Alle großen Hersteller haben Geräte, sowohl Fernsehgeräte als auch Set-Top-Boxen mit HbbTV im deutschen Markt. Angeboten wird HbbTV über eine breite Produktpalette vom Premiumprodukt bis hinunter zum Massengeschäft und Produktaktionen bei Discountern. 

Eine etwas allgemeinere Frage: Wie ist das HbbTV-Konsortium aufgebaut? Wer sind die Mitglieder?

Das HbbTV-Konsortium wurde als rechtsfähige Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz gegründet. Fast 60 Firmen, darunter internationale Gerätehersteller, Netzbetreiber, Inhalteanbieter, Hard- und Softwarefirmen, sind mittlerweile Mitglied im Konsortium. Das IRT hat von Beginn an maßgeblich im HbbTV-Konsortium mitgewirkt. Aktuell bringt sich das IRT sehr intensiv in die internationale Marktentwicklung ein und stellt mit mir den Vorsitzenden des Konsortiums.

Ist die Nutzung von HbbTV-Angeboten technisch messbar?

Die tatsächliche Nutzung von HbbTV-Angeboten lässt über die Server-Anfragen, ähnlich wie bei traditionellen Internetangeboten, gut messen. Offizielle Zahlen liegen uns dazu nicht vor. Von den Programmanbietern ist aber zuhören, dass der Trend steil nach oben geht.


Welche Rolle spielen Multiscreening-Lösungen für HbbTV? Welche Nutzungsmöglichkeiten sind denkbar?

Bei der Interaktion mit dem TV-Gerät gilt es zu beachten, dass die Steuerung der Applikationen sehr einfach mit der Fernbedienung funktionieren muss. Längere Texteingaben sind hingegen mit der Fernbedienung eher kompliziert. Nicht so aber mit einem Tablet-PC. Von daher ist der Tablet-PC, als kleiner Bildschirm auf dem Schoß, die ideale Ergänzung für den großen Flachbildschirm an der Wand. Der große Bildschirm sollte von allen “störenden“ Interaktionen befreit werden. Ein intelligentes Management kann beispielsweise HbbTV- und Tablet-PC-Applikationen so zusammenspielen lassen, dass Mediathekeninhalte mit dem Tablet-PC gesucht, und anschließend auf dem großen Flachbildschirm betrachtet werden können.

Wann wird die nächste Version des HbbTV-Standards fertig entwickelt sein? Was werden enthaltene Weiterentwicklungen sein?

Eine Weiterentwicklung von HbbTV steht natürlich auf der Agenda, aber derzeit gibt es keinen kommunizierbaren Zeitpunkt für eine Version 2.0. Identifizierte Punkte für eine weitere Entwicklung sind Adaptive Streaming, standardisierte Multiscreen-Applikationen, verbesserte Grafiken und Animationen, eine bessere Integration des digitalen Rechtemanagements und HTML 5.


Wird in Zukunft auch Social TV eine Rolle für HbbTV spielen?

Wir haben im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem New-Media-Dienstleister nacamar einen Showcase zu Social TV auf der IFA in Berlin und während der Medientage München gezeigt. Darin spielten Anwendungen für HbbTV, Facebook, Smartphone und Tablet-PC intelligent zusammen, sodass sich Teilnehmer eines sozialen Netzwerks favorisierte TV-Beiträge aus einer Mediathek oder einem elektronischen Programmführer gegenseitig weiterempfehlen konnten. Alle angemeldeten Teilnehmer erhielten umgehend die Empfehlungen als Neuigkeit auf ihre Facebook-Seite gepostet und konnten auf einem Tablet-PC die empfohlenen Videos starten und auf dem großen Flachbildschirm betrachten. Bei Social TV gilt es sicherlich noch datenschutzrechtliche Aspekte zu hinterfragen, aber natürlich liegt es nahe und entspricht dem Verhalten von Konsumentengruppen, künftig Empfehlungen aus sozialen Netzen bei der Programmwahl einfließen zu lassen.


Wie sieht Ihrer Meinung nach das Fernsehen der Zukunft aus?

Die Anbindung des Fernsehgerätes an das Internet erweitert die Nutzungsmöglichkeiten erheblich. Die Integration von Tablets und Smartphones erlaubt völlig neue, intuitive und interaktive Formate und Nutzungsformen. Bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten sollte aber nicht vergessen werden, dass die Masse der Konsumenten das Fernsehgerät nach wie vor zum Fernsehen nutzen. Gerade das große Fernsehgerät im Wohnzimmer dient dem emotionalen Erleben medialer Inhalte und eben gerade auch des Fernsehens. Dieses wird durch die neuen technischen Möglichkeiten individueller gestaltbar, aber nicht ersetzt.

Herr Dr. Illgner-Fehns, vielen Dank für dieses Interview!


Übrigens Herr Dr. Illgner-Fehns ist nicht nur der Vorsitzende des HbbTV-Konsortiums, sondern auch der Geschäftsführer des in München ansässigen Instituts für Rundfunktechnik (IRT). Das IRT stellt als Mitglied des HbbTV-Konsortiums derzeit mit Dr. Illgner-Fehns den Vorsitzenden des Konsortiums.

Weiterführendes

» HBBTV Receiver Übersicht
» HBBTV - die Vorteile im Überblick


Alle Infos ohne Gewähr auf Richtig- und Vollständigkeit!
© HbbTV-Infos.de

Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Alles zum Datenschutz